Das Problem der Identifizierung

Russlanddeutsche ein eigenes Volk?

Russlanddeutsche werden teilweise als ein eigenes Volk ohne Land angesehen, da die Rückkehrer oftmals als "Russe" identifiziert werden. Warum dies so ist und weshalb oftmals Jugendliche sich nach ihrer Herkunft fragen, jedoch keine Antwort finden, wird in diesem Artikel geklärt.

Russlanddeutsche Aussiedler sind nach Ihrer Ankunft einem großen Anpassungsdruck an die Lebensbedingungen in Deutschland ausgesetzt. Primär gilt dies für die Aneignung und den Gebrauch der deutschen Sprache, denn in der Politik sowie in den Behörden und Bildungsinstituten wird die "Aussiedler-Integration" hauptsächlich als Frage des schnellen Deutscherwerbs behandelt. Neben den institutionellen Einrichtungen, in denen die Aussiedler mit hohen Anpassungserwartungen konfrontiert werden und das Deutsch ihnen "eingefügt" wird, gehen Sie im privaten Kontext verschiedene Kommunikationsbeziehungen mit den Einheimischen ein, die stark von Alltagsthemen und Grundprinzipien bestimmt sind.
Zu solchen Begegnungen mit den Hiesigen gehört, dass Aussiedler erfahren, wie sie von den Einheimischen gesehen werden. Einhergehend spüren sie das vorhanden sein von Stereotypen und Fremdbildern, wodurch die Nachfrage "als Deutsche unter Deutschen zu leben" stetig steigt.
Die sich herausbildende Fokussierung auf die Anpassungsleistung der Zuwanderer, die nicht nur in den Institutionen hoheitsstaatlichen Handelns, sondern auch in der wissenschaftlichen Forschung feststellbar ist, verleitet dazu, Kommunikationsbeziehungen zwischen Aussiedlern und Einheimischen als Ereignisse der Integration zu sehen.

In dem täglichen Leben und somit dem täglichen Anpassungsprozess entstehen vier Arten von Typen.

  1. Auch deutsch

  2. Nur Deutsch

  3. Ein bisschen deutsch, aber hauptsächlich ganz unten 

  4. Gar kein Deutsch mehr, für die Deutschen ein Russe 


1. Auch deutsch: Die vormalige Lebenssituation in der ehemaligen Sowjetunion mit vielzähligen ethnischen Gruppierungen und mit einer überformenden Zugehörigkeitskonzeption zum sowjetischen Staatsvolk die Herausbildung hybrider Identitätsorientierungen begünstigt bzw. abverlangt hat, lässt sich bei Aussiedlern auch von mitgebrachter Hybridität sprechen.
Hierbei spielt das Wissen des Deutschseins eine große Rolle, da vor allem in der Minderheitenposition sowie durch Reaktionen und Zuschreibungen anderer ethnischer Gemeinschaften in den Herkunftsgebieten erfahren haben.
Die Erfahrung des Zusammenlebens mit Angehörigen anderer Kulturen und Nationen bildet eine zentrale Ausgangsbedingung für die Identitätsarbeit in dem Eingliederungsprozess.
Es zeugt von Wissen um die die Migrationsgeschichte der Russlanddeutschen, wodurch eine gute Integration gelingen kann.


2. Nur noch deutsch: Veränderung des kulturellen Selbstbildes im Zuge des Aufnahme- und Anerkennungsverfahrens. Mit der Ausreise nach Deutschland prägen die Deutschstämmigen aus der Sowjetunion ihre Identifikation mit Deutschland und der deutschen Kultur aus.
Die Selbstidentifikation als Deutscher ist vor allem zum Zeitpunkt des Ankommens stark ausgeprägt. Es ist der Anspruch darauf, "als Deutscher unter Deutschen" zu leben, der die Selbstwahrnehmung als deutscher Volkszugehöriger intensiviert und dafür sorgt, dass deutsch/Deutscher als dominierende Identitätskategorie fokussiert ist.
Wichtig ist hierbei das Aufnahme- und Anerkennungsverfahren, mit dessen Initiierung die Wiederentdeckung der deutschen Kulturzugehörigkeit gerichtet ist.
Dadurch wird, sofern die Aussiedler den biografischen und familiengeschichtlichen Fundierungen ihres Lebens in deutschen Kulturbezügen nachspüren, die Deutschwerdung im Identitätsbewusstsein intensiviert.


3. Ein bisschen deutsch: Aber hauptsächlich ganz unten.
Die Erfahrung der Randexistenz: Selbstverortung in der Hierachie der aufnehmenden Gesellschaft.
Die rechtliche Gleichstellung mit der bundesdeutschen Bevölkerung verhindert nicht, dass ausgrenzende Typisierungen auf deutschstämmige Zuwanderer angewandt werden. 
Ihr Identitätsanspruch, "als Deutsche unter Deutschen" zu leben, prallt im Prozess des Ankommens auf abweisende Symbolisierungen von Nichtzugehörigkeit und Unerwünschtheit.
Aussiedler sehen sich stigmatisierenden Fremddefinitionen ausgesetzt.
Aussiedler müssen auf vielfältige Weise erfahren, dass viele Einheimische den kollektivgeschichtlichen Hintergrund der Deutschen aus Russland nicht kennen und ihnen deshalb die Migrationsmotive kaum vermittelbar sind. Die Erfahrung, dass sich Zugehörigkeit zur Kollektivität der Deutschen nicht einfach über einbürgerungsrechtliche Inklusionsmechanismen vermittelt, erlangt so Bedeutsamkeit für das Identitätsmanagement.
Mit zunehmender Dauer des Aufenthaltes in Deutschland verliert die nationale Identitätskategorie an Relevanz; es wird stattdessen globale Identifizierungs- und De-Identifizierungsarbeit geleistet. Dabei wird auch auf die Prestigeskala der gesellschaftlichen Statusgruppen Bezug genommen. Im Wissen um den Gebrauch ausgrenzender und pejorativer Kategorien seitens der einheimischen Deutschen wird es für Aussiedler schwer, ihre in Russland gelebten Biografien als wertvoll ansehen zu können. Deshalb ist das Verhältnis zur einheimischen Bevölkerung im Wesentlichen durch Abgrenzung und Stigmaabwehr bestimmt.
Aussiedler bevorzugen Situationen, in denen das Unter-sich-Sein gewähr leistet ist, da so die mitgebrachten Biografien zumindest nicht diskreditiert, nicht als etwas Negatives erfahren werden. In den In-Group-Situationen setzen Aussiedler sich nicht solch massiven Anfeindungen aus, wie sie sie anderenorts erfahren. Und in den Situationen des Unter-sich-Seins wird es möglich, die Ablehnungs- und Anfeindungserfahrungen solidarisch zu verarbeiten.


4. Gar kein Deutscher mehr: Für die Deutschen ein Russe - das Identifiziert werden mit dem Herkunftsland als auferlegte Bedingung und als Potenzial für künftige Identitätsentwicklungen.
Wer als russlanddeutscher Aussiedler unter Deutschen leben möchte, begreift sich als der deutschen Kultur zugehörig oder als »Geschichtsdeutscher«. Er baut darauf, dass seine russlanddeutsche Vergangenheit als Voraussetzung zur Kollektivität der Deutschen und zu Deutschland akzeptiert wird. Er muss aber nicht nur die Erfahrung machen, dass er als Russlanddeutscher in Differenz zu alteingesessenen Deutschen (und auch zu anderen Fremden in Deutschland) lebt, sondern auch, dass er eher als Russe, angesehen wird.
Typisch hierfür ist die Identifizierung als jemand, der in das russische Volk inkorporiert war.
Die Auseinandersetzung mit der eigenen Aussiedler-Biografie und die Entwicklung des neuen Identitätsbewusstseins werden maßgeblich von dem gesellschaftlichen Diskurs über die Stellung der "neuen Deutschen" im Aufnahmeland beeinflusst. Das Identifiziert werden mit Russland - entgegen dem eigenen Identitätsanspruch als Deutscher.
Es erfolgt die Orientierung unter russlanddeutschen Aussiedlern in Selbstkategorisierung sowohl an dem Unterschied zu den hiesigen Deutschen als auch zu den Russen.
Selbstbezeichnungen wie "Russaki" markieren eine ethnisch-kulturelle Sonderstellung in Deutschland, die durch das Bewusstsein der Herkunft aus Russland und der dort inne gehabten ethnischen Sonderstellung geprägt ist. Es sind Kategorien, die Mitgebrachtes als Ausgangsbedingungen und als Potenzial für die Entwicklung neuer Identitätsmuster fokussieren.


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